Frau Zurhorst, die Vorsitzende des Vereins Fatigatio e.V., an den wir dieses Jahr einen Teil unseres Umsatzes spenden werden, hat sich zu einem Interview zur Verfügung gestellt. Wir sehen es als wichtige Aufgabe, über das Chronische Erschöpfungssyndrom zu informieren. Diese schwere Krankheit wird in der Öffentlichkeit noch immer nicht wahrgenommen oder leichtfertig als depressive Verstimmung abgetan. Die Betroffenen leiden jedoch schwer unter der Krankheit und den damit eingehergehenden Ausgrenzungen und Einschränkungen. Vielleicht können wir einen Teil dazu beitragen, dass sich diese Situation ändert.
Frau Zumhorst, vielen Dank für Ihre Zeit. Bitte stellen Sie doch Ihren Verband kurz vor.
Die Tätigkeiten des Fatigatio e.V. sind vielfältig:
- Eine Anlaufstelle für Betroffene sein
- Kontakt unter Betroffenen herstellen, um sie aus ihrer häufig vorhandenen Isolation herauszuholen und Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.
- Beratung von Betroffenen: Betroffene suchen oft jahrelang nach einem Arzt, der auf ihr Leiden eine Antwort weiß. Wir versuchen Betroffenen Ärzte zu nennen, die offen für das Thema CFS sind und CFS-Patienten mit Respekt behandeln, auch wenn die Krankheit an sich bisher nur sehr eingeschränkt behandelt werden kann. Ebenso halten wir eine Datenbank über soziale Anlaufstellen bereit, an die wir Betroffene je nach Problemlage weiter verweisen können. Für sozialrechtliche Fragen (z.B. Arbeitsunfähigkeit, Krankengeldzahlung, Schwerbehindertenstatus, Antrag auf Erwerbsminderungsrente u.a.) verweisen wir Ratsuchende an einen juristischen Experten, der für Mitglieder eine kurze kostenlose Erstberatung anbietet.
Aber: als Laien führen wir keine medizinische Beratung durch, empfehlen also weder bestimmte Ärzte, noch bestimmte Kliniken, noch bestimmte Therapien sondern geben Erfahrungen von Betroffenen an Betroffene (oder ihre Angehörigen) weiter. - Betroffene über die Krankheit und die neueste CFS-Forschung, die neuesten Behandlungsansätze informieren (über die Mitgliederzeitschrift, die Internetseite und regionale und nationale Vortragsveranstaltungen), damit sie als informierte Patienten besser mit der Krankheit und mit den behandelnden Ärzten umgehen können.
- Die Krankheit in der Öffentlichkeit durch Medienarbeit (z.B. zum 12. Mai, dem Internationalen CFS-Tag) sowohl bei Ärzten als auch in der allgemeinen Öffentlichkeit bekannter machen und das Verständnis für die Krankheit verbessern.
- Ärzte mit Informationen zu CFS überhaupt und zur neuesten CFS-Forschung versorgen.
- Kontakt unter Ärzten herstellen, die sich mit dem CFS befassen (Wissenschaftlicher Beirat).
- CFS-Forschung in Deutschland fördern oder zumindest – mit den vorhandenen bescheidenen Mitteln – eine Anschubfinanzierung leisten, damit in Zukunft auf der Basis erster anerkannter Ergebnisse Fördermittel aus öffentlichen Töpfen beantragt werden können.
Fernziele unserer Arbeit sind:
- Anerkennung von CFS als primär körperliche Krankheit in der Ärzteschaft und damit auch bei Versicherungsträgern und sozialen Versorgungsstellen (Basis WHO, ICD-10 G 93.3).
- Fortbildung und Ausbildung der Ärzte in diesem Sinne.
- Damit auch: Beendigung der Falschbehandlung von CFS als vermeintlich psychische Erkrankung, Depression oder Wahrnehmungsstörung.
- Aufbau von ambulanten CFS-Behandlungszentren oder CFS-Schwerpunktpraxen, wo in CFS-Diagnostik und -Behandlung geschulte Ärzte arbeiten.
- Einrichtung von Pflege- und Versorgungsplätzen für Schwerstbetroffene, die nicht von Angehörigen oder anderen betreut und versorgt werden können
- Die CFS-Forschung fördern, die das Ziel verfolgt, einen sicheren Bio-Marker für die Krankheit zu finden.
- Die CFS-Forschung fördern, die nach effizienten Behandlungswegen sucht.
- Ein besseres Verständnis der Ursachen und Mechanismen der Krankheit CFS sollte dazu führen, Möglichkeiten der Prävention zu entwickeln.
Auf welche Probleme stoßen CFS-kranke Menschen im Alltag?
Das erste Problem eines/r Betroffenen ist, zu erkennen, dass er/sie diese Krankheit hat. Denn
da CFS von den meisten Ärzten nicht erkannt und diagnostiziert wird, herrscht in der Regel für Monate oder Jahre, in vielen Fällen sogar lebenslang Unwissenheit über die eigene Erkrankung
Unverständnis besteht auch seitens der menschlichen Umwelt (auch oft in dem Fall, dass der Betroffene schon weiß, was er hat und das auch zu erklären versucht), da es eine nicht sichtbare Erkrankung ist und sich Gesunde eine Erschöpfung, wie sie für CFS typisch ist, einfach nicht vorstellen können, weder in der Dauer noch in der Ausprägung.
Lang andauernde Arbeitsunfähigkeit gefährdet den Arbeitsplatz, man ist der Arbeitskraft als Existenzgrundlage beraubt. Finanzielle, existenzielle Probleme sind die Folge. Es kommt zum sozialen Abstieg, viele Betroffene werden zum „Sozialfall“. Glück haben die, die in dieser Not von ihrer Familie aufgefangen werden können.
Die für den Fall der Erwerbsunfähigkeit vorgesehenen Netze der sozialen Absicherung greifen nicht, da die Erwerbsunfähigkeit durch CFS von den Versicherungsträgern meist bestritten wird. Betroffene werden in sinnlose und falsche, oft verschlimmernde Reha-Maßnahmen gezwungen, wo zu allem Überfluss ihre „Arbeitsfähigkeit“ im Auftrag der DRV festgestellt wird.
Jugendliche Betroffene können die Schule nicht abschließen oder die Schule versucht den Schulbesuch zu erzwingen, weil kein Arzt erkennt, dass CFS einen solchen unmöglich machen kann. Es ist extrem schwierig, die Beschulung eines betroffenen Kindes zu Hause unter CFS-kompatiblen Bedingungen (soweit das überhaupt möglich ist) zu erreichen.
Junge Erwachsene können die Ausbildung nicht beenden, nicht ins Leben starten, keine Beziehungen eingehen, keine Familie gründen, denn CFS bedeutet, zu Hause im Bett liegen zu müssen, n i c h t s tun zu können. Junge Erwachsene kehren als Pflegefall zu ihren Eltern zurück und werden wieder völlig von ihnen abhängig. Und das ohne Perspektive der Besserung, da es keine effiziente Behandlungsmöglichkeit gibt, die den Betroffenen innerhalb einer irgendwie noch akzeptablen Zeitspanne wieder halbwegs fit machen könnte. Im zweiten, dritten, vierten …. der Krankheit haben Betroffene den Eindruck, dass das Leben an ihnen vorüberzieht.
Bei Alltagsdingen, z.B. einkaufen, können Menschen mit der unsichtbaren Krankheit CFS nicht erwarten, dass Ihnen geholfen wird, z.B. beim Tragen schwerer Einkaufstaschen oder Vorlassen in einer Schlange, denn sie sind ja meistens viel zu jung, um als gebrechlich erscheinen zu können. Und viele sehen im Prinzip „gesund“ aus.
Man glaubt ihnen die Krankheit nicht.
Wie wird CFS in der medizinischen Gemeinschaft gesehen?
Die Mainstream-Meinung unter den Medizinern ist: CFS ist doch nur eine eingebildete Krankheit, wieder so eine Modeerscheinung, die aus Amerika herübergekommen ist.
Allenfalls eine psychosomatisch bedingte mentale Erschöpfung oder eine durch Depression bedingte Antriebs- und Kraftlosigkeit, die durch bewährte psychotherapeutische Maßnahmen (Motivierung, Aktivierung, Verhaltens- und Gesprächstherapie) und evtl. Psychopharmaka (Antidepressiva) behandelt werden kann.
Oder: es handelt sich um schwierige Patienten, die eine falsche Krankheitswahrnehmung haben und Problemchen, die alle haben, völlig übertreiben und gerne krank sein wollen („subjektiver Krankheitsgewinn“), um Aufmerksamkeit und Zuwendung von ihrer menschlichen Umwelt zu bekommen.
In Deutschland gibt es schätzungsweise nicht mehr als ein paar hundert Mediziner, die CFS als Krankheit ernst nehmen. Behandlungsansätze haben vielleicht 50 von ihnen. Wirkliche Experten für die Krankheit gibt es kaum, man kann sie buchstäblich an einer Hand abzählen.
Diese wenigen Ausnahmemediziner suchen nach der Ursache / den Ursachen für CFS in folgenden medizinischen Bereichen (wofür sie nicht selten von den „Mainstream-Medizinern“ angefeindet oder belächelt werden):
- Immunologische Erklärung
- Neuro-endokrinologische Erkl.
- Toxikologische Erkl.
- Genetische Disposition und erworbene Genschäden
Welche Möglichkeiten haben Kranke aktuell, ihr Leiden zu mindern?
Wesentlich ist die Akzeptanz der neuen Situation, Identifikation mit dem Zustand, der zumindest mittelfristig nicht zu ändern ist.
Wichtig ist, zu verstehen, dass man auf jeden Fall für längere Zeit (CFS rechnet sich in Jahren, nicht in Wochen oder Monaten), nicht leistungsfähig sein wird. Hilfen organisieren, sich versorgen lassen, wenn möglich.
Aufhören, immer wieder Leistungen erbringen zu wollen, die man früher mal erbringen konnte. CFS setzt normale Leistungsmaßstäbe außer Kraft.
Aufhören, immer wieder gegen diese Wand zu laufen, also etwas leisten zu wollen, was man nicht kann. Denn das bedeutet, sich immer wieder auszupowern, seine Grenzen zu überschreiten, was langfristig eher zu Verschlimmerung als zu Besserung führt.
Stattdessen: Belastungsmanagement, Pacing: seine Kräfte realistisch beurteilen und einteilen. Sich genau überlegen: was kann ich, was kann ich nicht. Und dann das, was ich nicht kann, konsequent aus der Aktivitätenliste streichen. Ein Programm machen, bei dem die Belastungsgrenzen nicht überschritten werden. Erholung und Pausen präventiv einlegen, nicht an die Leistungsgrenze oder gar darüber hinaus gehen. Energie ansammeln, bevor man etwas davon wieder ausgibt (wie ein Sparkonto bei der Bank, wo man auch erstmal einiges anspart, bevor man etwas ausgibt). Gewonnene Energie für leichtes körperliches „Training“ nutzen (wie viel und was hängt vom Schweregrad ab).
Eine weitere Säule der „Selbstbehandlung“ ist die Ernährung: Unabdingbar ist die Umstellung auf eine konsequent gesunde Ernährung, Schadstoffe weitestgehend meiden, wertvolle Lebensmittel zu sich nehmen + Nahrungsergänzungmittel, Vitamine, Q 10, NADH. Viel Wasser oder gesunde Tees trinken (Ausleitung von Schadstoffen). Und das für lange Jahre.
Also: optimale Versorgung des Körpers sicherstellen, damit er sich langfristig erholen kann.
Wie schätzen Sie mentale Techniken (wie Selbsthypnose, Meditation, verschiedene Entspannungsmethoden usw.) bei der CFS-Therapie ein?
Sich Entspannungstechniken (z.B. autogenes Training) anzueignen und diese Entspannungsübungen dann täglich anzuwenden, ist ebenso ein wichtiger Baustein des Krankheitsmanagements, d.h. des Umgehens des Kranken mit sich selbst. Tiefe Entspannung ist Voraussetzung, um Kraft zu schöpfen. Wichtig ist auch die Wiederherstellung eines guten, erholsamen Schlafs, evtl. kann man auch vorübergehend mit leichten Schlafmitteln etwas nachhelfen..
Wie geht man mit der Ungewissheit und der Angst vor einer Zukunft mit CFS um?
Schwierig. Es kann durchaus sinnvoll sein, hier psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die neue, sehr belastende und sich mindestens über Monate, in der Regel über Jahre wenig ändernde Situation zu akzeptieren. Wichtig: sich neue Wertvorstellungen aneignen, neue und andere Ziele setzen, sich andere „schöne“ Dinge erschließen, die auch das Leben mit CFS lebenswert machen. „Normale“ Ziele wie beruflichen Erfolg und Fitsein etc. relativieren. Wissen, dass eine lange, vielleicht sehr lange Auszeit Voraussetzung ist, für die Wiederherstellung der Kräfte, für die Genesung des Energiehaushalts.
Welche Tipps können Sie CFS-Kranken geben, die gerade erst erkennen, dass sie sehr wahrscheinlich CFS haben?
Diese Frage wird zum Teil sicher schon durch die anderen Antworten abgedeckt. Aber um es hier noch mal auf den Punkt zu bringen:
Wenn die Diagnose gesichert ist (so gesichert sie eben sein kann), versuchen, m i t der Krankheit – nicht gegen sie – zu leben. Belastungsmanagement („Pacing“), gesunde Ernährung, Versorgung mit wichtigen Nährstoffen, tiefe Entspannung, sich helfen und versorgen lassen, Geborgenheit finden. Neu gewonnene Energie – mit Bedacht – für „Training“ nutzen. Von den „normalen“ Leistungs- und Erfolgsmaßstäben unserer Gesellschaft Abschied nehmen und sich neue, cfs-kompatible Beschäftigungen und schöne Erlebnisse finden. Hilfe durch einen CFS-sensibilisierten Mental-Trainer kann sinnvoll sein. Gut ist es, wenn zumindest die nahen Angehörigen eines/r Betroffenen die Krankheit und die neue Situation verstehen und den Kranken in seiner Krankheitsbewältigung aktiv unterstützen. Informationsbroschüren und -filme, Beratung durch den Fatigatio e.V. können dabei helfen.
Nina meint
Hallo Felix,
ich wusste gar nicht, dass du ein Interview mit Frau Zurhorst auf deiner Seite hast, ist ja super!
Ein sehr gutes Interview!!
Wirklich toll, wie du dich für uns Betroffene einsetzt, meinen tief empfundenen Dank dafür.
Alles Liebe,
Nina
stephan meint
Hallo!
Ich leide selbst unter CFS. Finde super, dass Sie die Seite nutzen, um auf die Krankheit aufmerksam zu machen.
Gutes Interview!
Beste Grüße
Stephan